rheinische ART
Start | | Über uns | Anzeigen | Impressum | Kontakt | Datenschutz

rheinische ART 10/2016

Archiv 2016

UNHEIMLICH
Trautes Heim, Glück allein?


Es kann auch alles ganz anders sein. Im Alltag treten an die Stelle der häuslich heilig-zufriedenen Welt so manches Mal das Unfassbare, Unsichere, Mysteriöse, das Dunkle und die Furcht. Der persönliche Wohnraum wird zum Albtraum, das traute Heim zur unheimlichen Bleibe.

 

Léon Spilliaert Selbstporträt, 3. November 1908, Tusche, Farbstift, Pastell, Conté-Stift, 49,7 x 65 cm, © VG Bild-Kunst, Bonn 2016 Privatbesitz

 

Bildmotive, die den Betrachter beunruhigen oder Angst einjagen, die ihn an schreckliche Vorkommnisse, Martyrien, Geister, Tod oder Hölle denken lassen, haben in der europäischen Kunst Tradition.

 

Auguste Chabaud Hotelflur 1907/08, Öl auf Karton, 105 x 76 cm, Städel Museum, Frankfurt am Main © VG Bild-Kunst, Bonn 2016 Foto: Städel Museum – U. Edelmann - ARTOTHEK

 

Karl Hofer Die schwarzen Zimmer (II. Fassung), 1943, Öl auf Leinwand, 149 x 110 cm, Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie. Erworben durch das Land Berlin © VG Bild-Kunst, Bonn 2016 Foto: bpk/Jörg P. Anders

 

Erinnert sei hier etwa an Dürers Kupferstich „Ritter, Tod und Teufel“ von 1513, an Hieronymus Boschs apokalyptische Wimmelbilder des Horrors mit symbolgeladenen Phantasien oder an die „Carceri“ des venezianischen Kupferstechers Giovanni Battista Piranesi. Jene 16 Platten mit eigentümlichen Kerkerbildern, die eine unerklärliche, unheimliche Stimmung hervorrufen – ihren Schöpfer Piranesi machten sie berühmt.

 

Eigentlich, so denken wohl alle, ist das vertraute Heim ein sicherer Hort. Wer jedoch nachts in den eigenen vier Wänden ein ungewohntes Knirschen des Dachstuhls hört, ein Scharren im Nachbarraum vernimmt oder bei diffusem Licht mit Schattenspielen im Arbeits- oder gar Schlafzimmer konfrontiert wird, kann schon mal unsicher werden.

     Der irritierende wie Panik auslösende abrupte Wechsel vom Vertrauten, dem Heimeligen der eigenen Wohnung, die atmosphärisch ins Unheimliche und Furchterregende mutiert, ist eine Erfahrung, für die Künstler vor allem seit Ende des 19. Jahrhunderts vielfältige und eindrückliche Bilder auf die Leinwand brachten.

     

Die Ausstellung „Unheimlich - Innenräume von Edvard Munch bis Max Beckmann“ im Kunstmuseum Bonn zeigt auf eindrucksvolle Weise diese existenzielle Grunderfahrung.

     Die Kunstwerke machen sensibel klar: Wer sich in der Sicherheit glaubt, das eigene Heim sei stets ein glücklicher Ort der Geborgenheit für das „Ich“, ein Raum des Schutzes und der Abgrenzung wider den Fährnissen von draußen, muss vielleicht irgendwann feststellen, nicht mehr wirklich Herr im eigenen Haus zu sein. Geister und Gespenster haben ihren festen Platz in Märchen und Legenden und es gibt wohl kaum ein Kind, dessen Vorstellungswelt durch solche Geschichten nicht angeregt wurde. Nicht zu vergessen: der gruselige Nährboden in der Seele wurde gerne als pädagogische Maßnahme angelegt. Aus Gruseligem entsprang der Zwang, sich konform zu benehmen. Und selbst beim Erwachsenen ist es nicht immer der Verstand, der regiert. Der friedliche Traum vom heimischen Glück, er kann sich zum spannungsgeladenen Albtraum wandeln.

 

Edvard Munch Tod im Krankenzimmer, 1893, Pastell auf Leinwand, 91 x 109 cm, Munch Museum, Oslo, Foto © Munch Museum

 
Ein wahrer Fürst der Dunkelheit und der subtilen Darstellung seelischer Abgründe und Angstvisionen ist vor allem Edvard Munch, dessen Bilder nicht immer sofort unheimliche Wirkung erzielen, wohl jedoch hintergründig das Beunruhigende, das „Böse“ erahnen lassen.

     Sein weltberühmtes Gemälde „Der Schrei“, eine Ikone der Darstellung von Angst und zerrissenen Seelenzuständen, wurde 2012 für ungeheure 120 Millionen US-Dollar versteigert und war damals das teuerste Bild der Welt. Wie sich eine undefinierbare Furcht bildlich verarbeiten lässt, zeigt sich beispielhaft und nachdrücklich auch an Munchs Werk „Abends auf der Karl Johan Gate“ von 1892 (mehr). Maskenhafte Gesichter mit aufgerissenen Augen spiegeln Bedrohung, Grauen und Feindseligkeit. Zehn Arbeiten des Norwegers sind in der Bonner Exposition zu sehen.

 

Léon Spilliaert Alleine 1909, Aquarell und Pastell, 64 x 49 cm, Museum Dhondt-Dhaenens, Deurle, Belgium, © VG Bild-Kunst, Bonn 2016 Foto: Guy Braeckman (Ad/ART) © SABAM Belgium 2016

 

Als Entdeckung in der Schau wird jedoch von den Kuratoren ein anderer Künstler herausgehoben. Es ist der in Deutschland wenig bekannte belgische Maler und Zeichner Léon Spilliaert (1881-1946), der Symbolismus und Expressionismus verbinde.

     Ein Selbstportrait des hauptsächlich in Ostende wirkenden Malers zeigt ihn als geisterhaft glimmende Gestalt mit teils verschatteten Gesichtszügen. Spilliaerts Arbeiten sind in großem Maße düster und von Angst und Einsamkeit geprägt.

 

Insgesamt werden mehr als 100 Gemälde, Zeichnungen und druckgrafische Arbeiten von 25 Künstlern gezeigt. Sie reichen zeitlich vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts, von den Nabis zum Symbolismus, Expressionismus und zur Neuen Sachlichkeit.

     In diesen fast 70 Jahren wird das Bild des Raums Gegenstand einer künstlerischen Freiheit, die Darstellungen unfreier, unheimlicher Innenräume der Dunkelheit, Isolation und Gewalt ermöglicht.

 

Max Beckmann Im Artistenwagen (Zirkuswagen), 1940, Öl auf Leinwand, 86,5 x 118,5 cm, Städel Museum, Frankfurt am Main © VG Bild-Kunst, Bonn 2016, Foto: © Städel Museum – U. Edelmann – ARTOTHEK

 

Zahlreiche internationale und nationale Museen und Privatsammlungen haben die Ausstellung mit Werken unterstützt. Darunter sind Arbeiten unter anderen von Max Beckmann, James Ensor, Pierre Bonnard (mehr), Édouard Vuillard, Odilon Redon, Vilhelm Hammershøi, Alfred Kubin, Erich Heckel und Karl Hofer.

     Die Thematik der Schau kann als eine Art Fortsetzung der im Sommer 2013 im Bonner Kunstmuseum präsentierten Ausstellung „HEIMsuchung“, die einen ähnlichen Inhalt auswies, verstanden werden. Der Besuch der aktuellen Ausstellung kommt aber keinem Gang durch ein Horrorkabinett gleich. Eher ist es ein kleines Gruselabenteuer mit wissenschaftlicher Begleitung, das einen Blick in die seelischen Abgründe der Vorstellungswelten von berühmten Künstlern erlaubt.
rART/K2M


Die Ausstellung „Unheimlich - Innenräume von Edvard Munch bis Max Beckmann“ wird bis zum 29. Januar 2017 präsentiert.
KunstMuseumBonn
Museumsmeile
Friedrich-Ebert-Allee 2
53113 Bonn
Tel. 0228 / 77-6260
Öffnungszeiten
DI - SO 11 - 18 Uhr
MI 11 - 21 Uhr

 

 

 

 

 

Die 
rheinische ART.
empfiehlt:

Mit GOOGLE ins Museum.


Das Google Arts & Culture Projekt zeigt Meisterwerke aus den Museen und Sammlungen dieser Welt.

► 
mehr

Und geht der Frage nach: Was ist Contemporary Art?

mehr