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rheinische ART 09/2016

Archiv 2016

KARSTIESS IRDEN
Nehmen und geben

 

Die Stiftung Insel Hombroich widmet Markus Karstieß eine Einzelausstellung mit Arbeiten aus Keramik. Das Besondere dabei: Karstieß hatte 2005 als Gastkünstler auf Hombroich erste Erfahrungen mit dem Material gesammelt und es seitdem in den Mittelpunkt seines Schaffens gestellt. Durch die auf der Raketenstation gezeigte Schau „Irden“ schließt sich nun der Kreis.

 

 

Markus Karstieß Gigant II, 2015, glasierte Keramik 212 x 81 x 54 cm (H x B x T) Foto © Markus Karstieß, VG Bild-Kunst, Bonn 2016

 

Die Keramik genießt in Europa bei weitem nicht den Stellenwert anderer künstlerischer Medien. Häufig liegt dies an fehlendem Wissen um Techniken und Glasuren sowie an einer mangelnden Infrastruktur, die zum Brennen größerer Objekte benötigt wird.

     Aber es ist auch die assoziierte Nähe zur Angewandten Kunst, welche die Keramik im Kanon der zeitgenössischen europäischen Kunst ein Schattendasein fristen lässt. Genau hier setzt die Stiftung Insel Hombroich jedoch an. Die Auslotung der Grenzen zwischen Bildender und Angewandter Kunst sowie Architektur gehört zum Anspruch dieses Museums und Kulturraumes.

 

Für den Düsseldorfer Markus Karstieß (*1971), der 2005 ein Jahr als Gastkünstler der Stiftung vor Ort verbrachte, hat sich seine Zeit auf Hombroich gelohnt: Das dort permanent installierte Keramikrelief von Lucio Fontana mit dem Titel Il Sole hat Karstieß' Schaffen eine neue Wende gegeben. Zusammen mit Katsuhito Nishikawa (mehr), der Karstieß eingeladen hatte, wagte er nach einer Auseinandersetzung mit Fontanas Arbeit erste Gehversuche mit dem Medium. Seitdem ist er der Keramik treu geblieben.

 

Lucio Fontana Il sole, 1952, Wandrelief, Keramik 370 x 461 cm (H x B) © Lucio Fontana by SIAE / VG Bild-Kunst, Bonn 2016


Die Schau „Irden“ im Siza-Pavillon auf der Raketenstation (mehr) gibt einen Überblick über sein Schaffen der letzten zehn Jahre. „Dadurch, dass die Arbeiten auf Hombroich gezeigt werden, schließt sich nun ein Kreis“ sagt Frank Boehm, Geschäftsführer der Stiftung. Und weiter: „Markus Karstieß hat hier mit der Keramik begonnen und nun sind wir es, die fast zehn Jahre später zeigen, was er damit erreicht hat.“

 

Markus Karstieß Primitive State, 2007 (Teilansicht der Installation), Glas, Spiegel, glasierte Keramik, Lüster, variable Größen © Markus Karstieß, Foto © rART 2016

 

Markus Karstieß Seltene Erden, 2012 glasierte Keramik, Raku, Platin, Lautsprecher, Verstärker, CD-/ Mediaplayer, Sound in Zusammenarbeit mit Detlef Weinrich, variable Größen, 100 Teile © Markus Karstieß, VG Bild-Kunst, Bonn 2016

 

Ideengeschichte der Zivilisation Die Konzentration auf einen Werkstoff sei heutzutage eine Seltenheit und deshalb schon bemerkenswert, so Boehm. Dass diese freiwillige Beschränkung auf ein Material nicht auf Kosten der kreativen Bandbreite gehen muss, beweist Karstieß mit dieser Ausstellung jedoch eindrucksvoll.

   „Die Keramik ist ja stärker als die meisten Materialien in der Kulturgeschichte verankert. In ihr spiegelt sich die Ideengeschichte der Zivilisation, sie ist eine Lagerstätte von Ideen“, führt Boehm aus. „Karstieß reflektiert dies in seinen Arbeiten und wir haben dies auch in der Ausstellungsgestaltung berücksichtigt.“

     Die ohnehin physische Präsenz der Keramik treibt der Künstler durch die Wahl eindrucksvoller Glasuren, durch die raue Bearbeitung des Materials mit den Händen sowie durch die ungewöhnlichen Dimensionen seiner Arbeiten auf die Spitze.

     Die Assoziation mit archäologischen Artefakten drängt sich auf, insbesondere bei der Werkgruppe Primitive State: Objekte, die Knochenteile und andere organische Formen suggerieren oder in ihrer Gestalt auf Gegenstände des täglichen Gebrauchs anspielen. „Sie geben vor, Artefakte zu sein, doch sind sie selbst artifiziell überhöht und voller Anspielungen auf fremde Kulturen und Zeitgeschichte.“

      Boehm illustriert dies an den Scholars Rocks, in denen Karstieß handgroße Gesteinsbrocken auf einem Keramikbett präsentiert. Die scheinbar beliebigen Steine entstammen dem Schauplatz einer Intervention von Robert Smithson (Asphalt Rundown) 1969 in Rom, in dem ein Lastwagen eine Ladung Asphalt über eine Böschung kippte. Karstieß spürte den mittlerweile zugewachsenen Ort des Happenings, das auf Video festgehalten wurde, auf und grub so lange, bis er auf Smithsons Asphaltreste traf.

     

Prozess Wichtig ist Boehm zudem der prozessuale Charakter der Keramik. „Man beginnt mit dem Material, und dann wird daraus etwas geformt. Einige von Karstieß Arbeiten spielen genau damit. In den Arbeiten werden Formungen begonnen und jäh abgebrochen, sie präsentieren sich als Ansätze, als Versuche. Andere hingegen werden bis zur Figuration entwickelt."

 

Markus Karstieß Dirty Corner, 2013, glasierte Keramik, 184 x 70,5 x 70,5 cm (h x w x l) Foto© Markus Karstieß, VG Bild-Kunst, Bonn 2016

 

Ebenfalls kennzeichnend ist der Faktor Räumlichkeit, in dem Karstieß architektonische Elemente verarbeitet. Der Jannis Kounellis-Schüler hat sich zwar in der Wahl des Materials von seinem Lehrer entfernt, doch Karstieß' Aussage, dass Kounellis Arbeiten „den Raum bestimmen“, lässt sich ebenso auf ihn übertragen.

     Deutlich wird dies in den Skulpturen Dirty Corners. Als mannhohe Architekturdetails kommen sie plastizierten Raumausschnitten gleich. Im Werkstoff, sagt Boehm, wird bereits der Bezug zur Architektur sichtbar: „Der Ton kommt selbst aus der Erde, wie verwandte Materialien, die zum Bauen genutzt werden. Von Karstieß stammt das Diktum, dass das Bauen einen ähnlichen Urtrieb befriedigt wie Essen, Trinken oder Schlafen. Die Annahme, dass man der Erde etwas zurückgeben müsse, sobald man ihr etwas wegnimmt, ist vielleicht die fundamentalste Aussage seiner Arbeit.“
 

Markus Karstieß Dirty Corner, 2013, Detailansicht, Keramik, Lüsterglasur
183 x 68,5 x 68,5 cm (HxBxT) Foto© Markus Karstieß, VG Bild-Kunst, Bonn 2016

 
Nehmen und geben Dies erscheint vor allem in Bezug auf Hombroich sehr sinnig, denn es ist Karstieß selbst, der seinen Aufenthalt dort als Auslöser empfand und der nun durch seine Arbeiten die Stiftung bereichert. „Überblicksausstellungen sind ja nicht in jedem Fall sinnvoll“, betont Boehm, doch in diesem Fall sei das anders: „Dass wir die Arbeiten an dem Ort zeigen können, an dem ihre Entwicklung begann, ist ein besonderer Glücksfall.“
 

► Unter der Leitung von Frank Boehm wurde die Ausstellungstätigkeit der Stiftung auf der Raketenstation verstärkt. Nach zwei Schauen zu dem portugiesischen Architekten Eduardo Souto de Moura (mehr) sowie zu Thomas Demand (mehr) bildet Markus Karstieß nun die dritte Einzelausstellung im Siza-Pavillon. Eine umfangreiche Publikation zu der Karstieß-Präsentation soll zur Finissage am 4. September erscheinen.

 

Robert Woitschützke


Die Ausstellung „Irden“ wurde bis zum 4. September 2016 verlängert.
Stiftung Insel Hombroich

Siza-Pavillon
Raketenstation

Hombroich 4
41472 Neuss
0049 (0)2182 8874001
Öffnungszeiten
Siza Pavillon
FR - SO 12 - 18 Uhr (auch an Feiertagen)
Fontana Pavillon
SO 12 - 18 Uhr

 

 

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