rheinische ART
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rheinische ART 11/2016

 Archiv 2016

 

NS-DOK KÖLN

Jugend im Gleichschritt!?

 

Nach Wandern, Basteln und Spielen nahtlos zu Waffenkunde, Bunkerbau, Schießübung und Schanzarbeit! Sah so das Leben der Jugendlichen im „Dritten Reich“ aus, die als Mitglieder von Jungvolk, Hitlerjugend oder BDM adrett uniformiert durch die Straßen zogen? Vor allem: War alles tatsächlich so gleichförmig wie es die Propagandafotos des NS-Regimes glauben machen wollten oder war manches geschönt?


 

Unangepasste Jugendliche aus Essen auf Fahrt nach Wedau, August 1939. Foto © NS-DOK Köln 2016 Foto oben: Hitlerjugend bei einem Aufmarsch. „Wer in der HJ marschiert, ist Soldat einer Idee.“ Ab 1939 wurden 16 und 17 Jahre alte Jugendliche in Wehrertüchtigungslagern für den Kriegseinsatz ausgebildet. Foto Ausschnitt aus dem Ausstellungstitelbild © NS-DOK Köln 2016

 

Eine Sonderausstellung des Kölner NS-Dokumentationszentrums (NS-DOK) bricht mit dem gemeinhin vermittelten Bild von der Hitlerjugend als uniform marschierender Block.

     Über drei Jahre haben Kuratoren des NS-DOK recherchiert und an der Schau gearbeitet. Das Problem war die Quellenlage. Denn die gängige Vorstellung über die Heranwachsenden dieser Zeit, das Bild von der Hitlerjugend, sei „bis heute von der NS-Propaganda geprägt“, erklärte Martin Rüther, Projektleiter und Historiker des Hauses. Historisches Material aus privater Hand, etwa Fotografien und Dokumente, seien zu dieser speziellen Thematik nur spärlich aufzufinden.

 

Schießübungen von Schülern der Adolf-Hitler-Schule „Thüringen“ während ihrer Russlandfahrt im August 1942. Foto © NS-DOK Köln 2016

 

Werbeplakat der Hitlerjugend. © Bundesarchiv, Plak, 003-011-042 / NS-DOK Köln 2016

 

Dennoch ist es dem Dokumentationszentrum gelungen, ein detailreiches, nachdenklich machendes, ja gelegentlich auch erstaunliches Gesellschaftsbild von Deutschlands Jugend während der NS-Zeit zu präsentieren.

     Der Rückblick mit dem Titel „Jugend im Gleichschritt!? Die Hitlerjugend zwischen Anspruch und Wirklichkeit“ ist eine bemerkenswert differenzierte Darstellung des Alltags der Zehn- bis Zwanzigjährigen zwischen 1933 und 1945. Daher sowohl das Ausrufe- als auch das Fragezeichen im Titel der Schau, wie Rüther die Interpunktion begründet.


Noch Anfang der Dreißigerjahre war die Hitlerjugend (HJ) mit rund 2.000 Mitgliedern ein unbedeutender politischer Jugendverband. Ende 1932 zählte sie bereits 100.000 Angehörige.

     Unmittelbar nach der Machtübernahme 1933 formulierte das NS-Regime dann seinen ausnahmslosen Anspruch auf die gesamte Jugenderziehung im Reich. Mit gezielter Werbung, aber auch mit Verboten und Zwängen, entwickelte sich die NSDAP-Nachwuchsorganisation zu einem Massenverband mit letztendlich mehr als acht Millionen Mitgliedern. Damit war sie die mitgliederstärkste Organisation im NS-Staat.

     Ab 1939 wurde die Zugehörigkeit verpflichtend – allerdings nur für einzelne Jahrgänge und niemals, wie es in der Ausstellung heißt, für alle Jugendlichen. Trotzdem gehörten zu dem Zeitpunkt über 85 Prozent der Heranwachsenden dem NS-Jugendverband an.

 

„Führerdienst“ des Kölner Stammes 1/I/53 September 1936. Fähnleinführer Hans Torkler macht Meldung beim Stammführer; dahinter sind die einzelnen Jungzüge des Fähnleins mit den jeweiligen Jungzugführern angetreten. Foto © NS-DOK Köln 2016

 

Das NS-DOK greift mit der Schau eines der zentralen Themen des Nationalsozialismus auf: Die Indoktrination von Jugendlichen und die Bedeutung und Rolle der parteikonformen Hitlerjugend als Massenphänomen. Als das „Volk von morgen“ waren die Jugendlichen Adressat der nationalsozialistischen Propaganda und ein wichtiger Faktor der Innenpolitik. Das öffentliche Bild der HJ als allmächtige Institution, der man sich in jungen Jahren nicht zu entziehen vermochte, ist bis heute geprägt von NS-Propagandafotos und „Erfolgsmeldungen“ einer begeisterten „Staatsjugend“, wie die Kuratoren betonen.

 

Blick in die als Wanderausstellung konzipierte Exposition. 14 Medienstationen und Dutzende Schautafeln zeigen das Leben der Jugendlichen im NS-Staat., auch abseits der Propaganda. Den Schwerpunkt bildet die Institution Hitlerjugend. Foto © rART 2016

 

Wichtigstes Verkehrsmittel für alle Jugendlichen während des „Dritten Reiches“: das Fahrrad. Exponat in der Ausstellung „Jugend im Gleichschritt“, Köln 2016. Foto © rART 2016

 

Die Kernfragen der Ausstellung lauten: Wie schaffte es die HJ, aus jungen Menschen einer Gesellschaft, die durch zahlreiche soziale, politische und religiöse Milieus sowie große Unterschiede zwischen Stadt und Land geprägt waren, eine – wie es die Propaganda suggerierte – „Jugend im Gleichschritt“ zu formen? Erreichte die Partei dieses Ziel überhaupt? Welchen Herausforderungen und Problemen hatte sie sich zu stellen? Wo fand sie Unterstützung und wo stellten sich ihr Widerstände entgegen?


Antworten liefert die Ausstellung in sechs gut gegliederten Abschnitten. Aber es ist eine Ausstellung, die Zeit braucht und dem Besucher Aufmerksamkeit abverlangt. Andererseits lässt sie die Zeit schnell vergehen!

     Zahlreiche Beispiele aus dem Rheinland und aus Westfalen mit interessanten, größtenteils bislang nicht öffentlich gezeigten Fotografien, Medienunterlagen, Verwaltungs- und Personaldokumenten und anderen Exponaten belegen die Bestrebungen des NS-Regimes, eine gleichförmige und ideologietreue Jugendbewegung aufzubauen.

 

 

Karrikatur (Ausschnitt) in der HJ-Zeitschrift „Niederrheinische Fanfare“ von 1939. Damit machte die Reichsjugend deutlich, welche Gruppierungen sie bekämpfte. © NS-DOK Köln 2016

 

Interessant ist in der Schau die Aufarbeitung des Unterthemas „Konflikte“ und die damit verbundene Frage, inwieweit die HJ den selbst gestellten Ansprüchen gerecht wurde. Denn dass sie ihren Totalitätsanspruch nie gänzlich in die Tat umsetzen konnte, wird in der Ausstellung besonders deutlich an der Darstellung der Auseinandersetzungen, die sie mit Jugendgruppen austrug, die sich dem ausgeübten Druck und den Verboten nicht beugen wollten.

 

Das „Auge des Gesetzes“ wachte seit 1933 über allem jugendlichen Tun. Zeichnung aus dem Tagebuch eines Essener St.-Georg-Pfadfinders um 1934/35. Foto NS-DOK, Köln 2016 © Bistumsarchiv Essen, Nachlass Klawunn

 

Hierzu gehörten deutschlandweit nach dem Verbot der Arbeiterjugend insbesondere die konfessionellen Jugendbünde und die „unangepassten Jugendlichen“, die sich im großstädtisch geprägten Rhein-Ruhr-Raum organisierten und die HJ-Mitglieder bekämpften.

     Ab 1935 kam es zu derart hohen Zahlen „wilder Cliquenbildungen“, dass die Gestapo Düsseldorf eine „Zentralstelle West“ zur Überwachung, Identifizierung, Verfolgung und Ergreifung der Gruppen mit „bündischen Umtrieben“ einrichtete. Als unangepasst galten Gruppen wie die „Navajos“ (Köln), „Fahrtenstenze“ (Essen) oder „Ruhrstrolche“ (Bochum), die während des Krieges unter dem Oberbegriff „Edelweißpiraten“ an Rhein und Ruhr zu einem Massenphänomen wurden und auch Konflikte mit der gefürchteten Gestapo riskierten.

     In anderen Teilen Deutschlands kam es zu vergleichbaren Bewegungen, so beispielsweise in Hamburg („Swing-Jugend“), Leipzig („Meuten“) oder München („Blasen“).

 

Kriegsplakat Die Darstellung symbolisiert das Ziel allen HJ-Dienstes: Die Vorbereitung auf den fast religiös überhöhten Krieg. Foto © Privat. NS-DOK Köln 2016

 

Neue Aufgaben hatte die HJ ab etwa 1943 im Krieg zu bewältigen. Sie musste sich damit weitgehend dem Kriegsalltags anpassen.

     Während ihre Mitglieder zunächst nur für Arbeiten an der „Heimatfront“ wie dem sogenannten „Ost-Einsatz“ oder bei der Kinderlandverschickung (KLV) verpflichtet wurden, kamen in der Kriegsendphase auch direkte Kampfeinsätze hinzu.

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 Die Hitlerjugend war nach NSDAP-Vorbild hierarchisch aufgebaut. Ihre Mitglieder waren auf vier nach Alter und Geschlecht getrennte Organisationen verteilt: „Hitler-Jugend“ (HJ) für 14- bis 18-jährige männliche Jugendliche, „Deutsches Jungvolk“ (DJ) für 10- bis 14-jährige Jungen, „Bund Deutscher Mädel“ (BDM) für 14- bis 21-jährige weibliche Jugendliche und „Jungmädel im Bund Deutscher Mädel“ (JM) für 10- bis 14-jährige Mädchen.

 

► Erstmals bietet das NS-DOK die Möglichkeit, die komplette Ausstellung über eine Web-App aufzurufen. Benutzen Sie hierfür den Link (mehr).

 

Die Ausstellung „Jugend im Gleichschritt!? Die Hitlerjugend zwischen Anspruch und Wirklichkeit" wird bis zum 12. März 2017 gezeigt.
NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
ELDE-Haus
Appelhofplatz 23-25
50667 Köln
Tel 0221 / 221-263-32
Öffnungszeiten
DI - FR 10 - 18 Uhr
SA, SO, Feiertag 11 - 18 Uhr
Jeden 1. Donnerstag im Monat (außer Feiertag) bis 22 Uhr