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rheinische ART 11/2016

Archiv 2016

ZWISCHEN KUNST UND POLITIK

Soz-Art, gewebt


Der sozialistische Arbeiter-und-Bauern-Staat DDR versank 1989 in der Geschichte, und mit ihm so mancher Industriebetrieb mit seinen Lagerbeständen. Im östlichen Thüringen wurden jüngst historische Bildteppiche aus DDR-Zeit im Stil einer mehr oder weniger „sozialistischen Volkskunst“ gefunden. Eine Entdeckung der besonderen Art!

 

Gewebte Heroen des Sozialismus Wandteppich mit den Portraits von Marx, Engels und Lenin, Unikat, 1,20 x 0,95 m, Foto H.G.Esch © Carpet Concept 2016

 

Die textilen Werke lagerten seit der Wende 27 Jahre lang gut verpackt und ebenso gut verstaut in einem Kellerraum des ehemaligen Volkseigenen Betriebs VEB Thüringer Teppichfabriken in der Kleinstadt Münchenbernsdorf nahe Gera.

 

Nationales Jugendfestival der DDR Pfingsten 1979 in Berlin, Wandteppich, 1,26 x 0,89 m, 1979, Foto H.G.Esch © Carpet Concept 2016

 

Ans Licht holte die Preziosen, die als „DDR-Staatsereignis-Teppiche“ sowohl künstlerisch als auch handwerkstechnisch ein hochinteressantes Stück DDR-Historie darstellen, der Gründer und Geschäftsführende Gesellschafter des Bielefelder Teppichproduzenten Carpet Concept, Thomas Trenkamp.

     Der aus dem Rheinland stammende Unternehmer hatte im Jahre 2004 den ursprünglich über die Treuhand verwalteten Staatsbetrieb zugekauft, sukzessive das alte Bauhaus-Gebäude renoviert, den Maschinenpark modernisiert und die traditionelle Teppichfertigung als Manufaktur in den historischen Betriebsräumen wieder aufgenommen.


Unikate Es ist ein bemerkenswerter Fund. Denn die wieder entdeckten Bildteppiche waren, wie es in Recherchen im Auftrag von Carpet Concept heißt, durchweg Zwangsauftragsarbeiten der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED), die nicht bezahlt wurden und auch keinen Bestandteil der Firmenkollektion darstellten. Sie wurden meist als Unikate oder lediglich in Kleinserien produziert.


Stilrichtung Es ist offensichtlich, dass sowohl die Idee zur Anfertigung der Bildteppiche als auch die Bildmotivwahl aus der politischen Kultur der UdSSR stammten und nach 1945 von der DDR übernommen wurden. Die Bildsprache ist dem „Sozialistischen Realismus“ zuzuordnen, eine ideologisch begründete Stilrichtung, die in Kunstkreisen auch unter dem Begriff „Soz-Art“ Eingang gefunden hat (mehr).

 

7. Oktober Tag der Republik 1949 – 1979, Wandteppich, 1,41 x 0,96 m, Foto H.G.Esch © Carpet Concept 2016

 

Verwendet wurden die Wandschmucke als Ehrengeschenke für Würdenträger bei nahezu allen politischen Feiern und Propagandaveranstaltungen.

 

60. Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution, Wandteppich, Unikat, 1,31 x 0,89 m, 1977, Foto H.G.Esch © Carpet Concept 2016

 

20 Jahre DDR Wandteppich, 1,47 x 0,89 m, 1969, Foto H.G.Esch © Carpet Concept 2016

 

Deutsches Turn- und Sportfest Leipzig 2.-5. August 1956, Wandteppich, 1,83 x 1,10 m, 1956, Foto H.G.Esch © Carpet Concept 2016

 

30 Jahre Freie Deutsche Jugend (FDJ) Wandteppich, Unikat, 1976, 1,35 x 0,85 m. Foto H.G. Esch © Carpet Concept 2016

 

Weltfestspiele der Jugend in Berlin 1973, Wandteppich, 1,60 x 0,88 m , 1973, Foto H.G. Esch © Carpet Concept 2016

 

Die Motive erzählen von Kampf, Befreiung, Revolution und Sport. Ob mit Kriegsschiff oder Panzer, Hammer und Sichel oder Hammer und Zirkel. Gewebt wurden die farbigen Wandbekleidungen für zahlreiche Ereignisse. So zum Beispiel für Sportfeste, Parteitage, FDGB-Kongresse oder zentrale Kundgebungen des kommunistischen Jugendverbandes „Freie Deutsche Jugend“ (FDJ), oder zum 60. Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution im Jahre 1977.

     Zu den Hauptmotiven zählten dabei Konterfeie politischer Größen, von Karl Marx (mehr), Friedrich Engels und Wladimir Iljitsch Lenin bis Wilhelm Pieck oder Ernst Thälmann. Aber auch Bodendenkmale wie der (Ost-)Berliner Fernsehturm oder das Treptower Ehrenmal finden sich grafisch gestaltet in den Bildteppichen wieder. Mit dieser Form der Darstellung wurden letztlich - ganz im Sinne der SED-Ideologie - gezielt technische Errungenschaften oder Fortschritte im Wohnungsbau glorifiziert und in Erinnerung gehalten.

     Andere Tapisserien würdigen sportliche Höhepunkte wie das Deutsche Turn- und Sportfest Leipzig, die Welt-Festspiele der Jugend in Berlin 1973 oder greifen den Berufsalltag der Werktätigen oder der paramilitärisch organisierten sogenannten „Betriebskampfgruppen“ auf. Noch 1987, also kurz vor der Wende, so heißt es in einer wissenschaftlichen Kommentierung zu den aufgefundenen textilen Kunstwerken, wurde ein Bildteppich anlässlich des 20. Kongresses der Jugendorganisation der KPdSU gefertigt.


Die Produktion textiler Wandbehänge und Bodenbeläge in Münchenbernsdorf hat eine lange Tradition, galt dieser Standort doch etwa seit Ende des 19. Jahrhunderts als eine Hochburg der Teppichweberei in Ostthüringen. Derzeit produziert lediglich das Unternehmen Carpet Concept  an dem ehemals großen und namhaften Werksstandort.

 

Historisches Allgemein gehört die Fertigung von Wandteppichen, ob aus rustikaler Wolle oder kostbarer Seide, zu den ältesten textilen Handwerkskünsten.

     Der ursprünglich als Schutz gegen die Unbilden der Witterung dienende Wandbehang wurde - künstlerisch gestaltet - in den frühen Hochkulturen als Tapisserie oder Gobelin Teil der repräsentativen Ausstattung an Fürstenhöfen und in kirchlichen Institutionen. Berühmtes Beispiel dieses Kulturgutes ist das aus dem 11. Jahrhundert stammende, fast 70 Meter lange romanische Bildwerk „Teppich von Bayeux“, eine Stickarbeit auf Leinen, die motivisch die Eroberung Englands aufgreift.

     Ab dem 19. Jahrhundert setzten sich mehrere Architekten, darunter etwa Gottfried Semper, der Wiener Baumeister und Kulturpublizist Adolf Loos und der Franko-Schweizer Modernist Le Corbusier mit dem Objekt "Wandteppich" im architektonischen Kontext auseinander. Für Le Corbusier waren Tapisserien die "Wandmalerei des Nomaden": „Wir sind Nomaden, die in Mietwohnungen hausen; wir wechseln diese Wohnungen; die Wand aus Wolle, die Tapisserie, lässt sich abnehmen, aufrollen, irgendwo wieder aufhängen.“

     Ab der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden Wandteppiche verstärkt Medium für die Schaustellung politischer Macht. Dies gilt für Bildwandteppiche als Propagandamaterial mit ideologisch bestimmten Motiven aus der NS-Zeit ebenso wie für die Wandbekleidungen aus den Jahrzehnten des real existierenden Sozialismus in der „Deutschen Demokratischen Republik“.

cpw


In einer Ausstellung im Aedes Architekturforum in Berlin werden nun erstmals 32 Wandteppiche aus dem Fund der Teppichmanufaktur Carpet Concept gezeigt. Die Exponate wurden in den Jahren 1955 bis 1989 gewebt.

 

Die Ausstellung „Zwischen Kunst und Politik. Wandteppiche aus der DDR von 1955 bis 1989 - Eine Entdeckung“ wird bis zum 19. Januar 2017 gezeigt.
Aedes Architekturforum
Christinenstr. 18-19
10119 Berlin
Tel 030 - 2827015
Öffnungszeiten
DI-FR 11-18.30 Uhr
SO, MO 13-17 Uhr

 

 

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