rheinische ART
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rheinische ART 05/2016

Archiv 2016

PAULA MODERSOHN-BECKER

In der Ferne leuchtet Paris

Sie hielt sich vier Mal für jeweils Monate in der Kunstmetropole an der Seine auf, sog die Inspirationen der pulsierenden Stadt, die neuen Kontakte und Eindrücke auf wie ein Schwamm. Paris, so viel ist sicher, ließ die Künstlerin Paula Modersohn-Becker aus Worpswede zu einer kompromisslosen, modernen Frau und wegweisenden Malerin werden, die ihrer Zeit voraus war.

 

Paula Modersohn-Becker Tête d´une jeune fille coiffée d´un chapeau de paille (Mädchenkopf mit einem Strohhut) um 1905, Tempera auf Leinwand, 27 x 33,5 cm Kunst- und Museumsverein Wuppertal © Medienzentrum Antje Zeis-Loi/ Kunst- und Museumsverein Wuppertal/ Musée d´Art moderne de la Ville de Paris 2016

 

In Frankreich ist Paula Modersohn-Becker (1876-1907) der breiten Öffentlichkeit kaum bekannt. Im Jahre ihres Todes - da war sie gerade einmal 31 Jahre alt - war sie letztmalig in der Hauptstadt.

     Nun, fast 110 Jahre später, feiert das Musée d´Art moderne de la Ville de Paris als erstes französisches Haus die Ausnahmekünstlerin mit einer eigenen monografischen Ausstellung. Rund 120 Arbeiten werden dort unter dem Titel „L’ intensité d’un regard“ („Die Intensität des Blickes“) präsentiert.

 

Paula Modersohn-Becker Jeune fille tenant des fleurs jaunes dans un verre (Junges Mädchen hält ein Glas mit gelben Blumen) 1902, Tempera auf Karton, 52 x 53 cm Kunsthalle Bremen Der Kunstverein in Bremen, Brême © Paula-Modersohn-Becker-Stiftung, Brême / Musée d`Art moderne de la Ville de Paris 2016

 

Paula Modersohn-Becker Chat tenu par un enfant (Katze von einem Kind gehalten) circa 1903, Tempera auf Leinwand, 32,5 x 25,6 cm Kunsthalle Bremen Der Kunstverein in Bremen, Brême © Paula-Modersohn-Becker-Stiftung, Brême / Musée d´Art moderne de la Ville de Paris 2016

 

Paris mon amour Die besondere Rolle der Künstlerin und engagierten, emanzipierten Frau, die lange im Schatten ihres Ehemanns und Malers Otto Modersohn (mehr) stand, ihn aber heute künstlerisch längst überstrahlt, wird an mehreren Aspekten deutlich.
     Paula Modersohn-Becker war weltweit die erste Frau, der ein eigenes Haus - das Bremer Becker-Modersohn-Haus - eingerichtet wurde, und zwar bereits 1927. In die Kunstgeschichte ging sie ein als Malerin, die stolze und selbstbewusste Selbstportraits schuf und die Gattung des weiblichen Selbstbildnisses als Akt „erfand“. Schließlich war sie mit ihren Bildthemen, den radikal einfachen Formen und der Materialität der Farbe - etwas was sie aus Paris mitbrachte - eine Wegbereiterin der deutschen Moderne.

     Modersohn-Becker liebte Paris, war wie elektrisiert von der Stadt. Paris war damals d i e Kunstmetropole, die für sie wie eine Verheißung in der Ferne leuchtete, wie sie einmal in einem Brief betonte. Die Stadt war in jenen Jahren aber auch so etwas wie eine Pflichtübung für aufstrebende Künstler (mehr), also weder unerreichbar noch ungewöhnlich.
     Dennoch: In der von Männern dominierten Kunstwelt war auch diese Millionenmetropole für ambitionierte Frauen mit einem künstlerischen Solo-Auftritt schwieriges Terrain. Paula Modersohn-Beckers Aufenthalte dort dauerten jeweils monatelang, in Summe verbrachte sie fast zwei Jahre in der Stadt. Zeit, die sie künstlerisch und charakterlich prägten und veränderten - es war ihre Schule für ein kurzes Leben.

 

Paula Modersohn-Becker Autoportrait sur fond vert avec des iris bleus (Selbstportrait auf grünem Hintergrund mit blauer Iris) um 1905, Tempera auf Leinwand 40,7 x 34,5 cm Kunsthalle Bremen Der Kunstverein in Bremen, Brême © Paula-Modersohn-Becker-Stiftung, Brême / Musée d´Art moderne de la Ville de Paris 2016

 

Anfang Januar 1900 tauschte sie erstmals ihr dörfliches Worpswede für ein halbes Jahr mit dem dynamischen, lauten Paris. Dort suchte sie den Kontakt zur Avantgarde-Bewegung und studierte an der Académie Colarossi und an der École des Beaux-Arts. Sie setzte sich mit Werken von Cézanne, Gauguin, van Gogh, Rodin und Picasso auseinander.
     Künstlerisch intensiv beeinflusst wurde sie von Paul Cézanne - der zu diesem Zeitpunkt seinen großen Durchbruch noch nicht hatte - und Paul Gauguin. Ihre gewonnenen Inspirationen aus der Auseinandersetzung mit diesen Bildwelten spiegeln sich besonders in ihren Stillleben und Figurenbildern. Offenbar schon früh hatte Paula Becker aber auch erkannt, dass ein Doppelleben mit derartigen Gegensätzen - hier Paris mit seinen neuen Kunstströmungen, da Worpswede - auch Risiken barg. Nach ihrer Rückkehr im Juni 1900 notierte sie, dass sie „alles Eitle, was die Großstadt mit sich brachte" abzustreifen gedenke und versuchen wolle, einen „wahren Menschen und eine feinfühlige Seele und eine Frau aus mir zu machen."

 

Paula Becker stammte aus Dresden. 1888 zog die Familie von dort nach Bremen. Paula erhielt ab 1892 Zeichenunterricht, so etwa ein halbes Jahr lang in England bei einer ihrer Tanten. Als junge Frau absolvierte sie von 1893 bis 1895 ein Lehrerinnenseminar. Ein Jahr später wandte sie sich aber dann der Kunst zu und ließ sich im „Verein der Künstlerinnen und Kunstfreundinnen zu Berlin“ ausbilden. Anders ging es seinerzeit nicht: Studium und Kunstakademien waren Frauen (noch) nicht zugänglich.

 

Paula Modersohn-Becker Portrait Rainer Maria Rilke, 1906, Öltempera auf Pappe 32,3 x 25,4 cm, Foto © Sammlung Ludwig Roselins, Bremen/ Musée d´Art moderne de la Ville de Paris 2016

 

Das Dorf Worpswede bei Bremen hatte sie erstmals bei einem Ausflug 1897 kennengelernt. Sie war sofort von der 1889 gegründeten Künstlerkolonie beeindruckt. Schon ein Jahr später war sie dort an der Seite von Fritz Mackensen (bei dem sie Unterricht nahm), Otto Modersohn, Hans am Ende und Heinrich Vogeler als Malerin tätig.

     Mit den Dichtern Gerhardt Hauptmann und Rainer Maria Rilke, dessen Bildnis sie im Frühjahr 1906 in Paris malte, war sie befreundet. Sie heiratete 1901 mit 25 Jahren den verwitweten Landschaftsmaler Otto Modersohn (1865-1943), was ihr wegen der finanziellen Sicherheit den Freiraum für die eigene künstlerische Arbeit verschaffte. Aber die Ehe stand unter keinem guten Stern. Einsamkeit, die Enge der Provinz und unterschiedliche Kunstauffassungen belasteten sie. Paris war das Maß der Dinge, sollte neue, künstlerische Impulse, ein Ende von Lebens- und Schaffenskrise, innere Ruhe und Erfolg bringen.

 

Paula Modersohn-Becker Autoportrait au sixième anniversaire de mariage 25 mai 1906 (Selbstportrait zum sechsten Hochzeitstag , 25. Mai 1906) Tempera auf Karton, 101,8 x 70,2 cm, Museen Böttcherstrasse, Paula Modersohn-Becker Museum, Brême © Paula-Modersohn-Becker-Stiftung, Brême / Musée d´Art moderne de la Ville de Paris 2016

 

Ein entscheidendes Jahr war 1906. Die junge Frau versuchte, unabhängig zu werden. Ihre Ehe stand vor dem Aus, die finanzielle Abhängigkeit war ungebrochen. Künstlerisch fand Paula Modersohn-Becker keine Anknüpfung an die eher traditionelle realistische Pleinair-Malerei von Mooren und Stimmungslandschaften des Ehegatten. Die Malerin verstieß gegen alle gängigen gesellschaftlichen Regeln. In ihrem Pariser Atelier in der Avenue du Maine begann sie in einer starken, kreativen Phase mit Selbstbildnissen, ersten Akt-Selbstdarstellungen und großen weiblichen Akten. Sie schuf über 50 derartige Portraits. Das Selbstbildnis am 6. Hochzeitstag, entstanden im Mai 1906 in Paris, ist eines ihrer bekanntesten Gemälde und ein „Schlüsselbild für die nachfolgenden Generationen von Künstlerinnen“, so der Katalogtext.

     Paula Modersohn-Becker gibt sich lebensgroß als Halbakt in Dreiviertelansicht und schaut den Betrachter an; in Wirklichkeit lenkt sie ihren prüfenden Blick auf ihr eigenes Spiegelbild. Die sich selbst bespiegelnde Künstlerin ist Geschöpft (Modell) und Schöpferin zugleich. „Mit diesem Faktum steht das Selbstbildnis außerhalb aller überlieferten Weiblichkeitsdarstellungen. Die Kunstgeschichte kategorisiert das Gemälde als den ersten Selbstakt einer Frau.“ 

     Im Jahre 1907 kehrte sie zuversichtlich nach Worpswede zurück und brachte am 2. November dort ihre Tochter Mathilde zur Welt. Das Ehepaar hatte sich versöhnt, doch das Glück währte nicht lange. Am 20. November 1907 starb die Künstlerin an den Folgen einer Embolie.

 

Paula Modersohn-Becker Portrait de jeune fille, les doigts écartés devant la poitrine (Portrait des jungen Mädchens, die Finger vor der Brust spreizend) bis 1905, Tempera auf Leinwand, 41 x 33 cm Von der Heydt-Museum, Wuppertal © Paula Modersohn-Becker-Stiftung, Brême, Musée d´Art moderne de la Ville de Paris 2016

 

Das Kernthema ihrer Kunst in den nur zehn schöpferischen Jahren wurde mit zunehmendem Alter die Einfachheit, das Ur-Menschliche. „Die große Einfachheit der Form“ sei etwas Wunderbares, notierte sie während des zweiten Paris-Aufenthalts 1903 in ihrem Tagebuch.

     Die Bildthemen waren vor allem Portraits, Kinderbildnisse, Stillleben und Landschaften. Was sie malte, war anders als alles damals in den Galerien zum Kauf angebotene. Vielleicht auch deshalb, weil nur ein Frau so malen konnte. Form, Fläche und Konstruktion von Portraits interessierten sie. Ihre Modelle, ob Bauernkinder oder Alte, wirken ernst, einsam, beherrscht, still, nie lustig oder laut, sie malt sie sensibel, fast liebevoll, gleichwohl schonungslos ehrlich.

 

Paula Modersohn-Becker Nature morte au bocal de poissons rouges Mai-juin 1906 (Stillleben mit Goldfischglas Mai-Juni 1906) Tempera auf Karton, 50,5 x 74 cm Von der Heydt-Museum, Wuppertal © Paula-Modersohn-Becker-Stiftung, Brême / Musée d´Art moderne de la Ville de Paris 2016


Nach dem Tod von Paula Modersohn-Becker sorgten ihr Ehemann und der Maler und Grafiker Heinrich Vogeler dafür, dass ihre Werke öffentlich gezeigt wurden. Noch zu Lebzeiten hatte sie lediglich zwei Mal einige ihrer Werke ausgestellt und nur fünf Gemälde veräußern können, davon erwarben zwei Werke Freunde aus dem Bekanntenkreis. Später wurden Sammler auf die frühe Expressionistin aufmerksam, die sich immer nach Paris gesehnt hatte, und kauften Werke auf.

 

Das Ehepaar Paula Becker und Otto Modersohn 1902, Foto © Otto Modersohn Museum Fischerhude

 

Ein Verehrer ihrer Kunst war der Kaffeehändler und Kunstmäzen Ludwig Roselius (Kaffee HAG), dessen Initiative zu danken ist, dass in Bremen zwanzig Jahre nach dem Tod der Malerin das Paula Becker-Modersohn Haus eröffnet wurde, das später zum Paula Modersohn-Becker- Museum wurde.

     Wenige Jahre später fielen zahlreiche ihrer Werke im Rahmen der „Entarteten Kunst"- Defamierungen dem NS-Regime zum Opfer. Dass die Kunst der Paula Modersohn-Becker formale Verwandtschaft mit den Werken des jungen Pablo Picasso (1881-1973) aufwies, der nur fünf Jahre jünger war und zeitgleich am Montmartre lebte und arbeitete, stellten Kunsthistoriker erst Jahrzehnte später fest.
     Die Vorsitzende der Modersohn-Becker-Stiftung in Bremen und langjährige Direktorin des Neusser Clemens-Sels-Museum, Gisela Götte, zur Ausstellung: „Mehrere Jahre hat es gebraucht, um Paula Modersohn-Becker in Frankreich zu präsentieren. Die Stiftung freut sich sehr, dass die Exposition gerade in Paris, wo ihre wichtigsten späten Werke entstanden sind, gezeigt wird.“

Claus P. Woitschützke


Das Lebenswerk von Paula Modersohn-Becker umfasst rund 750 Gemälde in verschiedenen Techniken, mehr als 1000 Zeichnungen und 13 Radierungen.

 

2007 gab es eine große Ausstellung im Bremer Modersohn-Becker-Museum, die sich diesen monatelangen und prägenden Aufenthalten von Paula Modersohn-Becker in Paris widmete („Paula in Paris“).

 

Literaturhinweis: Marie Darrieusseq „Être ici est une splendeur“, Vie de Paula Modersohn-Becker, P.O.L. éditeur 2016 ISBN 978-2-8180-3906-9. Deutsche Übersetzung liegt noch nicht vor.

 

Die Ausstellung „L’ intensité d’un regard“ läuft bis zum 21. August 2016.
Musée d´Art moderne de la Ville de Paris
11 Avenue du Président Wilson
75116 Paris
Tel. 01 53 67 40 00
Öffnungszeiten
DI - SO 10 - 18 Uhr